Aus der Schwäche heraus

Über Kultur und Mut

Ich leite ein Museum. Manchmal ist das gar nicht so einfach.

Zum Beispiel schreibt mir Herr D. etwa alle zwei Wochen einen Brief, manchmal auch zwei. Es sind Briefe voller Anschuldigungen und Drohungen. Hauptaugenmerk der Briefe ist meine Arbeit, die Herr D. sehr schlecht findet. Ich bin nicht der Einzige, der solche Briefe von ihm bekommt, aber ich gehöre wohl zu den beliebtesten Adressaten. Wahrscheinlich habe ich den Fehler gemacht, ihm einmal zu antworten. Ich kann mich nicht entschließen, die Briefe ungeöffnet wegzuwerfen, ich mache sie auf, überfliege sie und hefte sie dann ab. Viele sagen mir, man müsse das nicht ernst nehmen und ich gebe zu: Wer so drohend und wirr schreibt, dessen Post sollte man vielleicht wirklich nicht ernst nehmen. Aber das ist nicht so einfach, wie man denken mag.

Es gab eine Zeit, da wurde diese Post durch vernichtende Leserbriefe in der Zeitung ergänzt. Ich habe sie meist nur überflogen, denn mir war flau im Magen und ich wusste gar nicht, ob ich es ertragen würde, sie Wort für Wort zu lesen.

Einmal gab es auch ein denunziatorisches Video im Netz. Oh Gott!

Unteressen steht mir Frau N. in der Ausstellung gegenüber, in der Zitate von Menschen aus dem Oderbruch an der Wand stehen. Sie fragt wütend, ob es denn wirklich mein Ernst sei, aus den Aussagen der Menschen in meiner Region Kultur zu machen? Das würde ja quasi heißen, dass hier irgendwann alles mit AFD-Parolen vollgeschrieben ist. Ich kann nicht darüber lachen.

Frau G. schreibt mir, es sei ein Ausdruck von Feigheit und Angepasstheit, dass wir die so genannte konventionelle Landwirtschaft nicht klar verurteilen. Sie sieht gar nicht, welche Kraft es kostet, ein Gespräch auf Augenhöhe in diesem Konflikt zu organisieren, bei dem nicht von vornherein feststeht, wer die Guten und wer die Bösen sind.

Frau B. beklagt im Gästebuch, dass unsere Sprache nicht gegendert ist, was sie verwerflich findet.  Dass wir uns die gesprochene Sprache unserer Menschen binden und ungern eine Parallelsprache etablieren wollen, die unweigerlich belehrend wirken würde, kommt ihr wahrscheinlich nicht in den Sinn.

Warum wir uns nicht klar gegen den polnischen Oder-Ausbau positionieren, werde ich vom Nächsten gefragt. Ich versuche zu antworten, dass es auch andere Sichtweisen darauf gäbe und dass es nun einmal nicht unsere Aufgabe als Museum ist, nur einer Sichtweise zu entsprechen. Wenn wir etwas dazu sagen sollten, dann müssten wir uns erst damit beschäftigen. Das verstehen nicht alle.

Herr R. ist gern im Landkreis unterwegs, um hier und da Gift zu streuen. Er macht das sehr gut, er streut genau so viel, dass bei mir immer etwas davon ankommt.

Ich erzähle das nicht, um zu jammern, wir kriegen genug Lob und mehr Anerkennung als Tadel. Ich will auf etwas hinaus: Manchmal ist man den Widerständen, mit denen einen die eigene Umwelt konfrontiert, nicht gewachsen. Man gerät unter Rechtfertigungsdruck, es fehlen einem die Worte, der Boden wird schwankend. Man fühlt eine grenzenlose Schwäche und fühlt sich bedroht und man denkt: Noch einer, und ich falle. Vielleicht hat man sich wirklich mit alldem übernommen, vielleicht haben diese Leute recht? Vielleicht sollte man gehen.

Der Sinn einer Kultureinrichtung ist es, eine bestimmte Form des Begegnens zu ermöglichen, sie soll Kommunikation, Sensibilität und Gestaltungslust fördern. Das geht nicht in einer Trutzburg. Wir müssen offen und fein bleiben, auch dann, wenn uns andere wütend, verletzend und höhnisch gegenübertreten. Dadurch ist man schwach.

Aber genau betrachtet, ist das ein wertvoller Zustand. Im Bewusstsein der eigenen Schwäche wird man umsichtig. Man achtet auf seine Leute und spürt die eigene Angewiesenheit auf jene anderen, die einem gut sind. Man lässt Eitelkeiten und falsche Sicherheiten fahren. Man wird weich und leiser, ja, auch verletzbar, aber dafür selbst weniger verletzend.

Wenn man nun den nächsten Schritt wagt, ist es ein mutiger Schritt. Er ist mehr wert als ein lauter Marsch mit großem Tamtam. Auch wenn man nie weiß, wie weit einen die Beine tragen werden.

21.01. 2022

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.