Über das Tragen eines Hutes

Ich bin kein Hutträger. Überhaupt nicht. Meistens bin ich, wie nennt man das – barhäuptig. Im Winter eine Mütze, ja gern, aber wenn‘s an den Hut geht, muss ich passen.

Um zu verdeutlichen, wie prekär das Thema für mich ist, sei noch mein ebenfalls angespanntes Verhältnis zu den Kappen erwähnt. Kappen sind Hybridformen von Mütze und Hut, heute meist in Form von Base-Caps. Krieg ich auch nicht hin. Das gleiche wie beim Hut.

Ich habe überlegt, ob sich das Problem vielleicht im Zusammenhang mit einer Brille lösen lässt. Bald werde ich eine brauchen, dauerhaft wahrscheinlich, und die Auswahl des passenden Gestells stellt mich – wie der richtige Hut – vor Probleme. Jede Brille sieht nach etwas aus, sie macht an mein Gesicht was ran, einen Stil, der mir fremd ist. Ich beglückwünsche alle, die es geschafft haben, sich eine authentische Brille anzutragen. Und ich beklage alle, denen das nicht gelingt. Bei denen man immer denkt: Der will einem mit seiner Brille was sagen. Vor allem bei Männern.

Die Auswahl eines dauerhaften Brillengestells überfordert mich. Während man auf den Hut ja einfach verzichten könnte. Scheinbar.

Nun sind Brillen in erster Linie zum Sehen da, und nicht zum Aussehen. Das sollte ich mir immer sagen. Es kommt auf den Durchblick an. Obwohl man ja auch sagt: Sieh das doch mal durch eine andere Brille! Ist die Welt durch verschiedene Brillen nicht dieselbe? Ich weiß es nicht. Aber der Gedanke der Funktion ist gut, an dem halte ich mich fest. Es geht um die Funktion. Man soll was sehen. Also ist das Aussehen nicht so wichtig.

Was ist die Funktion des Huts, mal abgesehen von seinem schmückenden Aspekt? Na, er schützt! Nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Wind, Sturm, Regen und Hagel. Der hält eine ganze Menge ab, auch Hitze. Hüte kann man auch im Sommer tragen, manche jedenfalls.

Und was schützt der Hut? Na den Kopf, und alles, was darin ist, das Blut, die Gedanken, die Wärme, unser Menschsein. Man ist behütet. Der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht. Das will was heißen: Da verzichtet jemand auf etwas Wesentliches, das sein inneres Zentrum hätte schützen können, und er sehnt sich später danach zurück. Das verstehe ich. Er hätte den Hut nicht davonsausen lassen sollen und nun säße er gern wieder an der alten Linde.

Mir leuchtet also das Bedürfnis der Menschen ein, den eigenen Kopf vor der Welt zu schützen. Und dabei geht es vielleicht nicht nur um das Wetter, es geht auch um all das andere, das in dieser Luft herumfliegt und surrt und funkt und strömt und pratzelt, und das von uns Menschen ausgeht, nicht von der Natur. Manchmal ist die Atmosphäre, die wir durch unser Reden erzeugen, wie vergiftet. Ich habe mal in so einem Raum gesessen, in dem wirklich alles schlimm war, die Leute, die Worte, die Stimmung, die in der Luft lag. Das hat etwas mit mir gemacht, dauerhaft, nun muss ich damit leben. Vielleicht hätte ich mich damals schützen sollen, zum Beispiel mit einem Hut.

Seit einiger Zeit macht man sich viel über Aluhüte lustig. Der Aluhut ist ein Synonym für Verrücktsein. Ich kenne keine Menschen mit Aluhüten. Das einzige Mal, dass ich einen Aluhut in der Wirklichkeit gesehen habe, das war auf einer Demonstration. Der Mann, der ihn trug, hatte sich an den Rand gestellt, um die anderen Menschen zu verspotten, die da demonstrierten. Er wollte ihnen sagen: Ihr seid dumm, und zwar so dumm wie der letzte Dreck.

Vielleicht sind die echten Aluhutträger, sollte es sie geben, ja auch wirklich verrückt. Aber was heißt das? Kann ein Verrückter nicht auch Recht haben?

Oder ist es nicht eher so, dass der Verrückte etwas Verrücktes tut, weil er sich nicht früher und besser vor der Welt geschützt hat? Als er es noch gekonnt hätte? Und nun also etwas ausführt, eine Schutzhandlung, vielleicht zu spät und hilflos, aber doch verständlich?

Wie dem auch sei.

Nach allem, was ich gesehen und gehört habe, rührt es mich doch an, wenn jemand, irgendwie, mit welchen Mitteln auch immer, zu vermeiden sucht, dass ihm ins Hirn geschissen wird.

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.