REDEN 04_Anmut sparet nicht noch Mühe

Komm mal kurz rüber, setz dich zu mir, und erzähl mal: Was wünschst du dir für die Zukunft?

Sei ehrlich, sag die Wahrheit, und Schwindeln kommt ja nun gar nicht in Frage!

Sagst du immer, was du denkst?

Also, ich schaffe das nicht immer. Aber ohne Denken und ohne Reden kommen wir auch nicht weiter, oder? Du möchtest wissen, was mich bewegt?

Nun ja, Sprache ist ein so starkes Werkzeug und kann so mächtig wirken, Worte können richtige Spitzen haben, die verletzen, oder riesengroß sein, sodass ein Raum ganz eng wird davon, und ist ein Wort erstmal heraus, lässt es sich nicht gut wieder zurücksaugen. Da ist eine Portion Vorsicht oft ratsam.

Was ich sage, ist manchmal nur ein kleiner Ausschnitt von alldem, was ich denke und fühle. Das Herz auf der Zunge tragen, das ist so eine schöne Redewendung, und es ist beglückend, wenn man in seltenen Momenten gar nichts, nicht mal das Herz, das Innerste, verbergen will. Aber das muss einem erstmal gelingen. Manchmal ist man doch einfach nur sprachlos. Vielleicht finden sich dann andere Möglichkeiten, sich auszutauschen: ein Spiel spielen, zusammen singen, um die Wette rennen, sich aus Quatsch die Zunge rausstrecken oder ein Käsebrot teilen. Oder…

Schlaue Ratschläge können mich mitunter ganz schön auf die Palme bringen, aber es gibt Leute, die haben dafür ein gutes Händchen, wirklich hilfreiche Dinge zu sagen. Und wenn es um die Zukunft geht und wenn man sich fragt, wie sollen wir denn aus dieser schlimmen Schieflage in der Welt, aus Kriegen, Not und Armut, Betrug und all den Ungerechtigkeiten einen Weg finden? Dann fällt mir dieser nette rundliche Mann ein, Hanns hieß er, und in einer Zeit, als die Welt viel Schreckliches durchgemacht hatte, unvorstellbar Schreckliches, da hat er wunderbare, helle und klare Lieder erfunden, Musik, die der Seele guttut. Zusammen mit diesem Musiker Hanns Eisler hat 1950 ein gewisser Bert Brecht eine „Kinderhymne“ verfasst, um nach den Grauen des 2. Weltkrieges dem Denken eine Richtung, einen Kompass zu geben, und um den Herzen Mut zu machen.

Anmut sparet nicht noch Mühe,

Leidenschaft nicht noch Verstand,

dass ein gutes Deutschland blühe

wie ein andres gutes Land…

Es gibt eine Aufnahme von dem gemütlichen Hanns Eisler, er singt mit schnarrender Stimme dieses Lied und begleitet sich selbst am Klavier, ganz klar gesprochen in so gemütlicher österreichischer Färbung, zugleich schmeichelnd weich, und lustig, wie er irrsinnig das R rollt und manchmal mitten im Wort Luft holt. Aber ich glaube, er war dabei eigentlich ganz ernst. Und was meinte Bert Brecht mit diesen Wünschen an die Kinder des Landes, das gerade viel Schmerz in die Welt gebracht hatte? Wie konnte man weiterleben? Was wollten die beiden Herren den folgenden Generationen ersparen, und womit sollen wir ihrer Meinung nach nicht sparsam sein?

Ausgerechnet Anmut! Dieses Wort klingt für uns heute ein wenig angestaubt, dabei schwingt so viel darin mit: zarte Schönheit und eine aufrechte Haltung (auch Mut steckt darin!), die Ahnung eines verletzlichen menschlichen Kerns, etwas Reines und Gutes, ohne dass wir es so ganz zu fassen kriegen. Wir können das auch Intuition nennen, der Draht zu unserem Innersten sozusagen. Sprache ohne Worte kann aus dieser Quelle kommen; ich muss da an die Künstlerin Marina Abramovic denken, eine geheimnisvolle, schwarzhaarige Frau, die einfach nur stumm auf ihrem Stuhl saß, tagelang, und jedem Besucher, der ihr gegenüber Platz nahm, direkt ins Gesicht sah, ein offener Blick tief in die Augen, tief ins Herz, und das hat wirklich viele Leute sehr bewegt damals in New York. So ohne Scheu und ohne Erwartung einer Gegenleistung liebevoll angesehen zu werden, unverstellt, unverbohrt, das ist etwas Großartiges. Ein Geschenk voll Anmut. Kinderaugen sind oft auch große Augen!

Mühe, das ist ein anstrengendes Wort, die muss man immer geben, da hat man was zu tun! Sich einer Sache hinzugeben, die mir wichtig ist, meine Kraft und meine Zeit zu schenken, das kann viel Energie kosten, aber auch zufrieden machen. In „Mühe“ steckt auch der Respekt vor dem, was mir Arbeit macht. Vielleicht ist das nicht immer bequem, woran ich mich da abarbeiten muss. Aber ich hab mir das nun mal in den Kopf gesetzt, oder es ist eben etwas da, was bewegt, beackert, verändert werden soll. Gründe, vom Sofa aufzustehen, finden sich immer.

Unbändige Neugier, Staunen, Begeisterungsstürme… Leidenschaft ist unser Motor. Tu das, was dir Flügel schenkt und dir die Brust weitet – finde deine Passion! Spielen, malen, dichten, singen, erfinden, tanzen, etwas pflanzen, alles nach Lust und Laune, denn hier liegt unsere Kraft.

Mal traurig zu sein ist unbedingt wichtig, auch wütend oder enttäuscht- denn froh, erfüllt und dankbar können wir Menschen wohl nur sein, wenn wir die Kehrseite, das „Leiden“, auch kennen. Verzeihen (auch uns selbst) geht eigentlich auch leichter, wenn wir dunkle und leuchtende Momente erlebt haben und wissen, dass nichts auf Dauer so oder so bleibt. Aber mit Leidenschaft bleiben wir immer auf der Suche nach dem Schönen.

Verstand: Da geht es nicht unbedingt nur um, sagen wir mal, schnelles Rechnen, das können Computer ja auch, nein, darin steckt auch die Freiheit des Denkens, dem Geist das Wandern und Umherstromern zu erlauben, auch mal ohne die Leine irgendwelcher Erwartungen. Ein eigenes Urteil zu finden ist so viel lebendiger und kraftvoller als sich einspannen zu lassen und eine fremde Kutsche zu ziehen.

Das Alleinsein müssen wir ab und zu aushalten beim Begehen eigener Wege, dafür gibt es immer mal eine tolle Aussicht. Manchmal ist es auch sehr verwirrend, sich zwischen unterschiedlichen Wegen entscheiden zu müssen. Und es erfordert Mut, nicht einfach die bequemste Straße, sondern vielleicht einen weniger ausgetretenen Pfad zu wählen. Zugleich auch offen zu bleiben für das, was andere denken (man sagt auch Lernen dazu), ist eine Kunst- also Fenster auf im Elfenbeinturm!

Wenn wir einander mit offenen Ohren zuhören und uns immer mal ganz frei und neugierig betrachten, dann schaffen wir echte Verbindungen und es entsteht ganz bestimmt immer wieder etwas Schönes, Einmaliges, Besonderes. Vielleicht meinte Bert Brecht sowas in der Art mit dem guten Land, das blühen möge. Ich kann auch einen Schritt auf dich zukommen oder- davon ist übrigens in der Kinderhymne auch noch die Rede- die Hände reichen. Wenn du möchtest, reichst du mir deine.

P.S. Der Text reagiert auf diesen Aufruf von Ulrike Meier und Kenneth Anders.

Daniela Friedrich
danbraun@web.de