Rechenleistung am Lagerfeuer I

Mein Freund Rüdiger hatte mich besucht. Das macht er etwa zweimal im Jahr. Wir zünden dann im Garten ein Feuer an, tragen ein paar Flaschen Bier hinaus und reden über alles, was uns so beschäftigt – Familie, Körperlichkeiten, Politik. So machen wir das seit zwanzig Jahren. Eigentlich ist es schade, dass wir unsere Gespräche nicht mitgeschnitten haben, denn man könnte heute wunderbar nachlesen, was wir seinerzeit über Angela Merkel und die Abwrackprämie, über die Fußballweltmeisterschaft 2014 oder über den Corona-Alarm gedacht haben. Das würde mich persönlich jedenfalls interessieren, ich gehe davon aus, dass es mich demütig machen würde. Man hält sich immer für schlau, bis man feststellt, was man im letzten Jahr auch alles noch geglaubt hat.
Da Rüdiger dieses Mal nach dem zweiten Bier mit der künstlichen Intelligenz anfing und sich beim Stieren in die Flammen ein längerer Dialog entrollte, entschied ich mich, wenigstens dieses Mal am nächsten Tag alles aufzuschreiben, soweit ich mich jedenfalls erinnern konnte. So könnte man in zehn oder fünfzehn Jahren einen Abgleich machen, dachte ich, hier die Utopien und Apokalypsen von damals – und dort die Wirklichkeit. Unser Dialog lief in etwa so ab:


Rüdiger: Jetz machen se ja allet mit KI.
Ick: Hab ick och so mitjekricht, aba so richtich hab ick no ni vastann, wat dit Intellijente dabei sein soll. Ick hab neulich een jehört, der meinte, eijentlich is die künstliche Intellijenz ja ni intellijent, die rechnet bloß den Durchschnitt aus, von allm, wat zu eener Sache bekannt is.
R: Na wie soll den dit jehn? Die een saren, dit Klima tut glei umkippen, die andan saren, dit is Quatsch, denn würde ja dit Mittelding heißen…
I: Eben, dit Mittelding wäre: Nüscht jenauet weeß man nich. Es jibt untaschiedliche Ufffassungen. Punkt.
R: Na so ehrlich is do keene KI. Dit lassen die do ja ni zu.
I: Wer die? Wer lässt wat ni zu?
R: Na kiek dir dit do an, bei na, wie heißt et, Wikipedia. Dit is do allet Politik. Da jibt et lauter Aktivistn, die schreim in eener Tour die Artikel um. Der isn Vaschwörungstheoretiker und der is umstrittn und der is dit. Dit is do ne Denunzantenplattform. Und dit wern se der KI och beibring.
I: Aba wenn se an die KI manipuliern, denn isset ja keene KI mehr. Denn könnse glei bei Wikipedia bleim.
R: Ja, dit stimmt och wieder. Es sei denn, die sperrn einfach alle Quellen, die ihn nich passen. Alle Webseiten. Die KI wird ja nich inne richtije Bibliothek jehn, die scannt bloß dit Internet ab. Und wenn nur noch eine Meinung im Internet zu finden is, denn is die KI och einseitich.
I: Aba dit würde ja heißn, die KI is eijentlich jut. Wenn man se austricksn muss, damit se die Wahrheit nich mitkriegt.
R: Weeß ick ni. Jut kann die do jani sein. Moralisch jetze.
I: Nee, nich jut im Sinne von jut und böse. Aba dass se nüscht erzählt, wat nich jedeckt is. Dass se nicht mogelt. Ehrlich, sozusaren.
R: Es sei denn, sie wird so programmiert! Unehrlich zu sein.
I: Oh Mann. Wie soll denn dit jehn.
R: Na nich erjebnisoffen, sondern immer so: Wir saren, die Corona-Impfung is sicher, also erzählst du dit jetze die Leute, nemwirkungsfrei und so!
I: Na denn schlägt do da keener mehr wat nach, wenn dit so erwartbar is! Denn weeß ick do vorher, wat da steht.
R: Na, n bisschen raffinierter wern se t schon machen. Ich weeß et do o ni. Jetz muss ich jedenfalls erst mal mein Bier wegschaffen.


(Fortsetzung folgt)

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.