Das Lied von der Öffentlichkeit

Stell dir mal vor, du stößt auf Sachen,
die deutlich ein bisschen stinken:
Da scheint jemand krumme Dinger zu machen,
und seine Erklärungen hinken.
Nun sprichst du Hinz und Kunz drauf an,
doch die schaun betreten zur Seite,
Und auch die Gerichte gehn nicht ran,
es ist eine einzige Pleite.
Wenn nichts mehr geht, dann ist es soweit:
Du wendest dich an die Öffentlichkeit.

Es kann auch sein, dass du was erkennst,
davon scheinen alle betroffen.
Dass du aber gegen Wände rennst,
und kannst weder klagen noch hoffen.
Du fühlst dich wie Kassandra einst,
und meinst, du verlierst den Verstand noch.
Und wenn du abends im Dunkeln weinst,
dann brauchst du wohl jemand, der hört doch.
Wer Menschen sucht mit ähnlichem Leid,
der wendet sich an die Öffentlichkeit.

Und gehn die Gedanken im endlosen Kreis,
sind gar keine neuen Ideen mehr,
denn alles steht fest und läuft sich schon heiß,
es fällt dir dein tägliches Tun schwer.
Dann brauchst du die Menschen nah und fern,
musst wissen, wie die denn die Welt sehn!
Und kennt man sie nicht, so liest man doch gern,
dadurch kann ein frischerer Wind wehn.
Wenn du im Saft schmorst, ist es so weit,
geh besser mal raus in die Öffentlichkeit!

Ja, die Gesellschaft für jedermann
das muss ein lebendiger Platz sein,
wo jeder gelassen sich geben kann,
und hören ein offenes Wort, fein.
Frei darf man denkend sprechen dort,
der Leut‘ Argumente durchwandern,
kann jederzeit suchen diesen Ort,
und muss nicht fürchten die andern.
Im Blaumann oder im Abendkleid,
das ist die Idee der Öffentlichkeit.

Doch ach, mein Kind, es ist nicht mehr so
wie einst auf der Straße erstritten,
kaum sprichst du was aus, dann heißt es: oh,
der soll um Verzeihung bitten!
Wer singt nicht mit im guten Chor?
Der zählt alsogleich zu dem schlechten,
dem schreibt man einen Maulkorb vor,
und zählt ihn sofort zu den Rechten.
Das muss man beklagen, lang und breit:
Es ist nicht gut für die Öffentlichkeit.

Das kennen wir schon, denn wieder mal gilt:
Gedanken sind frei nur im Stillen.
Man zeichnet ein falsches und hässliches Bild
und steuert so unsern Willen. 
Dem könnte man entgegenstehn
und ruhig mal den Mund aufmachen,
es gäbe ein fröhliches Wiedersehn,
und dann ein befreites Lachen.
Drum sag es mal laut: Du bist es leid,
sonst ist es der Tod der Öffentlichkeit!

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.