Advent 23

Die folgenden kleinen Gedichte und Dialoge sind “Gebrauchstexte” für die bevorstehenden Konzerte des Cantus Überland. Wir singen zu viert und zu sechst in Eberswalde, Neutornow und Chorin Weihnachts- und Adventslieder und ältere Kompositonen von Schütz und Hammerschmidt oder Prätorius. Ich wähle jedes Jahr dazu etwas zum Vorlesen aus, aber in diesem Jahr fand ich nichts, das noch einmal neu gelesen werden wollte, also schrieb selbst etwas. Da ich manchmal nach den Konzerten gefragt werde, wo man etas nachlesen kann, stelle ich sie hier ein.

Im Stall
Im Stall das Stroh heut meistens fehlt,
es gibt auch keine Krippe.
Die alten Tage sind gezählt,
man warnt vor Vogelgrippe.

Steril ist alles menschlich Tun,
getrennt sind Esel und Ochsen,
sie dürfen nicht zusammen ruhn,
sie stehn in eignen Boxen.

Auch in den Straßen manch Lokal,
das hat wohl schon geschlossen,
denn wo das Geld fehlt, bleibt fatal
der Mensch zu Haus, verdrossen.

Wo also ist ein freier Platz,
für dies Ereignis, wichtig,
denn ohne den wird jeder Schatz,
vergessen gar, und nichtig.

Drum hört, ihr Leute, machts euch fein,
Gemeinschaft ist Bewegung,
gesellig soll das Leben sein,
schafft Orte der Begegnung!

Erzählt euch was und lacht und singt,
dann kommt das Kindchen wieder,
und wenn es seine Botschaft bringt,
dann hört die lieben Lieder.

(gewidmet der Veranstaltungsreihe “Guten Morgen Eberswalde”)

Wunschzettel
Darf ich was wünschen mir zum Fest?
Wenn man mich wirklich wünschen lässt,
dann das: Wir machen was zusammen.
Ich will die Gaben nicht verdammen,
das Spielzeug nicht, und die Klamotten,
ich freu mich über neue Botten,
und über Elektronik gar,
ja, auch auf Süßes, wunderbar!
Doch eigentlich viel schöner wär:
wenn ihr mit mir, ach bitte sehr,
was Kleines unternehmen könnt,
und ihr zu Hause Zeit uns gönnt,
dass wir uns auch was Leckeres kochen,
oder mal schön auf Karten pochen,
dass wir zusammen lachen,
und andre Dinge machen,
dass ihr was vorlest oder auch,
´nen Film zeigt, und im Bauch,
sind Brause, Cola oder Chips,
…ich nehm auch Flips!

An alle, die zu früh anfangen
Wir sehen‘s in den Einkaufsmärkten,
da stehen die Lebkuchen, Adventskalender, Glühweine, Dominosteine
und der Spekulatius!
nun schon vom Spätsommer an,
Weihnachtsmann an Weihnachtsmann,
in Regalen drin
und stauben traurig vor sich hin.

[Vielleicht, wer weiß,
wird ja jemand heiß,
auf Marzipankartoffeln,
in Nikolauspantoffeln,
und bevorratet sich?]

Was ist der Sinn?
Der Gewinn!

Es trifft sich das Kalkül mit menschlicher Natur,
denn siehe, die Händler ziehen ihre Weihnachtsmärkte
in den Früherbst.
Die Leute können nicht warten,
sie stehen im Garten
und schmücken:
Schneemänner mit blinkenden Leuchtorgeln, Rentiere, Schlitten, Discokugeln!
Was einst strengstens verboten war:
das Linsen nach Geschenken in Muttis Schlafzimmerschrank,
das ist heute
anerkannte gesellschaftliche Praxis!

(Ich kenne sogar eine Frau,
eine durchaus nette,
die schmückt ihren Baum
man glaubt es kaum,
am fünften des Monats Dezember,
und wirft ihn am Vorabend des vierten Advents
wieder raus,
weil er nadelt!)

Die Weihnachtszeit geht bis Maria Lichtmess,
das ist am zweiten Februar!
Und vorher ist Advent,
die dunkelste Zeit des Jahres,
es wird sogar immer dunkler;
das solltet ihr Wintersonnenwendeapologeten eigentlich wissen!

Wo führt das hin?
Im Winter Osterhasen,
auf grünem Trockenrasen,
im Sommer Nussknacker,
auf gelbem Kornacker,
und Räucherkerzen zu Frühjahrsherzen,
alles gleichzeitig und immer verfügbar.

Und sind wir dann alt und gebrechlich,
dann sagen wir: ach sind wir schwächlich,
wie ist nur die Zeit so schnell vergangen?

Das lag am ungebremsten Verlangen.

Am Einlass
Isser jeteckt?

Die Frau vor mir am Einlass trägt eine seltsame Virtual-Reality-Brille und große Kopfhörer. Ich möchte hinein, in die Unterbringung, zu Maria und Josef.
Was bitte, frage ich.
Ob er jeteckt is! Hier kommen nur Jeteckte rin.
Nein, ich glaube nicht, sage ich. Was ist das, geteckt?
Na sarese ma, wo komm sie denn her, sie ham ja von Tutn und Blasn keene Ahnung!
Da würde ich gern widersprechen, gerade von Tuten und Blasen habe ich eine Menge Ahnung. Um mich herum sind immer viele kleine Wesen, die wunderbare Geräusche machen. Für Menschen klingt es wie sphärische Blasmusik. Aber die Frau hört davon nichts, sie hat Kopfhörer auf.
Na wie dem och sei, hier komm nur Jeteckte rin. Die beeden da drinne sin och nich jeteckt, deswegen kommse morjen früh ins Quarantänelager.
Aber wenn sie nicht, wie sie sagen, geteckt sind, und ich nicht geteckt bin, dann könnten sie mich doch reinlassen, oder? Es ist wichtig. Ich muss mit den beiden sprechen, eine Nachricht von…

Die Frau schaut mich erwartungsvoll an. Na von wem denn nu?
Von Gott, sage ich.
Die Frau zögert. Kenn ick nich, sagt sie. Und dann: Denn sind ja da drin lauter Unjeteckte.
Na und? frage ich.
Könnse sich ausweisn?
Nun ja, sage ich, und hebe entschuldigend meine Flügel. Gabriel, meine Name, Angelus Gabriel.
Irritiert schaut die Frau durch ihr Computerbrille. Aber nur mit Augen- und Ohrenschutz, sagt sie.
Sowas habe ich nicht,
sage ich.
Ohne medizinischen Augen- und Ohrenschutz komm se hier nich rin.
Drinnen hört man ein Baby weinen.
Ich würde wirklich gern kurz zu den beiden, also zu den dreien dort hineingehen. Das da ist die heilige Familie, sagt ihnen das nichts?
Unjeteckt sind se, dit sacht mir wat. Deswejen komm se in Quarantäne.

Aber die sind doch extra hergekommen, um sich registrieren zu lassen, wie es ihnen gesagt war. Und nun setzt man sie fest?
Anweisung vom Chef. Keene blauen Linien.

Ich werde mir wohl auf andere Weise Zutritt verschaffen müssen. Breite meine Flügel aus und erhebe mich in die Lüfte. Von oben sehe ich auf das Gebäude. Ein großes Display ist dort angebracht, auf dem eine schrille Nachricht blinkt: Tecken ist Liebe.
Offenbar wird es Zeit, dass wir die über die Liebe sprechen.

Wer alles kommen soll

Die Bösen sollen kommen,
und die sich für gut halten,
die dürfen auch!
Sie sollten aber ihr Gutsein,
an der Tür lassen.

Die Dummen sollen kommen,
und die sich für schlau halten,
die dürfen auch!
Sie sollten aber ihre Klugheit,
einmal ruhen lassen.

Die nicht so gut aussehen, die sollen kommen,
und die sich für schön halten,
die dürfen auch!
Sie sollten aber ihre Schönheit,
für eine Stunde vergessen.

Die Kranken sollen kommen,
und die sich gesund fühlen,
die dürfen auch!
Sie sollten aber ihre Kraft,
als Geschenk sehen.

Alle sollen kommen,
nur jene nicht,
die da sagen:
der ist böse, dumm oder hässlich,
der soll fernbleiben!
Wer so redet,
gehe in sich,
bevor er an die Krippe tritt.

Die Leisen und die Lauten,
die alles sich verbauten,
die mit den großen Plänen,
die mit den schlechten Zähnen:
Wer immer ehrlichen Herzens ist,
der ist willkommen bei Jesus Christ.

Lieber guter Nikolaus,
sieht die Welt nicht traurig aus?
Hier ist Elend, dort mit Waffen
wird getötet und in straffen
Lügen wird behauptet,
dass, woran ihr einst noch glaubtet,
gar nicht mehr zu wünschen sei,
ja, man sagt: Macht euch nun frei,
von der Sehnsucht nach dem Frieden,
zwischen mir und dir hienieden.

Allerdings, ich hab‘ gelesen,
du seist Bischof einst gewesen,
der durch Städt‘ und Dörfer ging
nicht mit süßem Dingeling,
sondern bittend Groß und Klein:
Gebt für arme Kinderlein!

Ja, man mahnte an die armen
von Herodes zum Erbarmen
hingemeuchelt Jungen zwar,
doch gemeint ganz sicher war
all den Kummer zu bedenken,
und zu helfen und zu schenken,
wo die größte Lücke klafft‘,
in der ganzen Nachbarschaft.

Also frag ich, guter Klaus,
säh die Welt nicht besser aus,
wär man seinem Nächsten gut,
schenkte man sich etwas Mut,
auch den Kindern etwas Feines,
etwas wirklich Liebes, Kleines,
dafür, alter Friedensmann,
komm aus deinem dunklen Tann!

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.