Nachdenken über die Friedensarbeit

Sind wir wieder im Krieg?

Die Kampfhandlungen scheinen weit weg.
Aber sie rücken näher, von verschiedenen Seiten.
Und wir sind, irgendwie, beteiligt.

Wir liefern Waffen und Geld.
Und manche sagen, das reiche nicht.
Es müsse noch mehr sein;
stärkere Waffen, größere Beträge.
Und wo man die Lieferungen nicht steigern kann,
bekundet man umso lauter seine Solidarität.
Es gibt wieder Sprachregelungen.
Fahnen werden gehisst und gepostet.
Einstige Pazifisten stehen stramm.
Die Hitlervergleiche schießen ins Kraut.

Was ist geschehen?

Es gab, wir erfuhren es aus dem Fernsehen, eine Zeitenwende.
Wir wurden nicht nach unserer Einschätzung gefragt.
Es wurde ein Sondervermögen gebildet, was immer das ist.
Das Gas wurde teurer, das Öl wurde teurer, alles wurde teurer.
Aber die Aktien stiegen.

Die Welt zerfällt in Freund und Feind.
Menschen sterben, anderswo,
wir kennen sie nicht,
wir können uns ihre Zahl nicht vorstellen.
Die Opfer werden unterschlagen,
als müsse man sie,
obwohl sie doch schon mit ihrem Leben bezahlt haben,
nun auch noch totschweigen.

Es kommen gut bezahlte Experten
und bevölkern die Bildschirme.
Ihre Erklärungen haben sich festgefahren.
Und der Krieg geht weiter,
Woche für Woche, Tag für Tag.

Und wir? Was ist unsere Rolle in all dem?
Ist unser Land denn ein friedliches Land?
Oder hat der Krieg längst Einzug gehalten, auch hier?
Durch die Teilung der Menschen in Gut und Böse,
in Freunde und Feinde.
Und dann, als Folge: Durch die Entmenschlichung der Feinde.

Es heißt, wer für den Frieden spricht, sei naiv.
Und wer trotz Ermahnung weiter den Frieden fordert, der sei gefährlich.
Wer dem Frieden das Wort redet, müsse dumm oder böse sein,
eins von beidem, oder beides.

Aber was fordern denn die, die für den Frieden sprechen?
Hat ihnen jemand zugehört?

Jeder Friedensmensch weiß, dass Frieden Arbeit ist.
Die Arbeit des ehrlichen Redens.
Die Arbeit des Zuhörens.
Die Arbeit des gegenseitigen Besuchens.
Die Arbeit des Verstehens.
Die Arbeit des In-Ruhe-Lassens, der Zurückhaltung.
Die Arbeit der Kritik, auch Verbündeten gegenüber.
Die Arbeit der Selbstkritik.
Die Arbeit, für sich zu sprechen.
Die Arbeit, für jene zu sprechen, die es selbst nicht können,
oder die nicht gehört werden.
Die Arbeit, sich Achtung zu erwerben, bei Gegnern und Freunden.

Wer in unserem Land hat sich diese Arbeit gemacht,
in den letzten 30 Jahren?
Und wie ist diese Arbeit beleumundet?
Wie steht es um die Friedensarbeit?

Das öffentliche Reden ist formelhaft geworden.
Das Zuhören wird von der Ungeduld verscheucht.
Das gegenseitige Besuchen hat aufgehört.
An die Stelle des stillen Verstehens ist das laute Bekennen getreten.
Die Zurückhaltung wurde durch das Eifern ersetzt.
Die Kritik an Verbündeten wird zu Gehorsam.
Selbstkritik gilt als Schwäche.
Für sich zu sprechen gilt als Egoismus,
für andere zu sprechen gilt als unklug.
Und was soll das überhaupt sein:
Achtung bei Gegnern und Freunden?
Das geht doch nicht!

All das begann nicht gestern, und auch nicht erst vor zwei Jahren.
Der Krieg nahm sich längst seinen Teil,
nicht nur in der Ukraine, nicht nur in Gaza,
sondern an vielen Orten der Welt,
weil manche ihren Vorteil in ihm suchten,
und weil alle, auch wir, die Arbeit am Frieden vernachlässigt haben.

Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit von Krieg.
Frieden ist Gestaltung des Zusammenlebens.
Zwischen Dir und mir,
zwischen Gruppierungen und Parteien,
und dann zwischen Staaten.

Wer weiß noch, was Diplomatie ist?
Kann man das lernen?
Wo kann man das lernen?
Hier und überall kann man das.

Und was ist mit Freiheit, mit Demokratie?
Muss man darum nicht kämpfen?
Was immer wir darunter verstehen:
Natürlich sollte man darum kämpfen.
Aber friedlich!

Frieden ist nicht dumm.
Wir sind nicht dumm.
Frieden ist ein Gemeinschaftswerk.
Das ist einfach zu verstehen,
denn zum Frieden gehören mindestens zwei.

Krieg ist die Zerstörung von Leben.
Frieden ist Liebe zum Leben, und Dienst am Leben.

Ich meine, man kann das sehen und unterscheiden;
ob ein Land mit seinen Menschen den Frieden liebt,
oder ihn vergessen hat.

Wer Frieden fordert, sagt doch nur:
Die Friedensarbeit muss wieder beginnen.
Jeder kann sehen
dass es an ihr mangelt.
Und wenn sie von den Politikern nicht verrichtet wird,
dann müssen wir sie selbst verrichten.
Jemand muss anfangen damit.

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.