29 Jan REDEN 03_Vergegnung
Kürzlich wurde ich nach meiner Einschätzung gefragt. Ob es wohl möglich sei, alle Probleme zwischen Menschen zu bewältigen, ja gar zu lösen, wenn wir alles Wissen und alle Raffinessen der Kommunikationspsychologie kennten, ihre Klaviatur perfekt bespielten, sozusagen nach allen Regeln der Kunst kommunizieren könnten. Sicher sei doch jeder Mensch grundsätzlich ansprechbar, wählte man nur die richtigen Worte, etwa Ich Botschaften, nutzte man Techniken gewaltfreier Kommunikation oder einfach nur das Aktive Zuhören. Damit wären Missverständnisse, Streit, Verwerfungen durch „richtige“ Kommunikation besser handhabbar und auch lösbar. Sei es denn nicht Verheißung der Kommunikationspsychologie, für jedes Schloss den passenden Schlüssel schmieden zu können? Ich überlegte. Kommunikationstechnik als Universalschlüssel der Verständigung? Das Gelingen von Kommunikation, eine Frage der (richtigen) Technik?
Aus Erfahrung weiß ich sehr wohl um die Macht der Worte. Wie oft habe ich schon erlebt, dass Worte „Schlüssel schmieden“ oder „Brücken der Verständigung“ bauen können. Ich habe aber auch erfahren, mit einem vermeintlich passend geschmiedeten Schlüssel dann vor einer Tür mit der Aufschrift zu stehen: Zutritt strengstens verboten. Trotz eines Schlüssels, trotz einer freundlichen Ansprache keinen Zugang zu bekommen, kann recht frustrierend sein. Dennoch mag dieses Bild ein entscheidendes „Detail“ zwischenmenschlicher Verständigung verdeutlichen: Mit jedem Wortwechsel, mit jedem Gespräch erlauben wir dem Anderen immer auch, unseren ureigenen, ganz persönlichen Raum zu betreten. Wenn wir das nicht wollen, ist es am wirkungsvollsten, den Zutritt ganz zu verweigern. Dafür bedarf es keiner Worte, im Gegenteil! Nicht nur kann man sich völlig wortlos verweigern, es ist geradezu am effektivsten, so vorzugehen. Wie das? Lassen Sie mich diesen Umstand mit einem Gedankenexperiment verdeutlichen. Stellen wir uns einmal vor, wir möchten ein Gespräch mit jemand anderem führen. Dieser Mensch wohnt vielleicht etwas weiter entfernt. Daher rufen wir ihn an. Wir lassen es mehrfach durchläuten, doch wir erreichen ihn nicht. Nun versuchen wir es zu einer anderen Uhrzeit, an einem anderen Tag, doch wir erreichen ihn immer noch nicht. Vielleicht schreiben wir zusätzlich eine Email, eine SMS oder wir posten etwas ins Netzwerk. Immer noch erhalten wir keine Antwort. Uns kommt ein Verdacht. Ist der andere vielleicht da, aber nimmt den Telefonhörer einfach nicht ab? Liest er unsere Mails, aber antwortet nicht? Vielleicht löscht er sie ungelesen? Trotz aller geschmiedeten wohlfeilen und handverlesenen Kommunikationsbemühungen bleibt es still auf der anderen Seite. Es ist eine Stille von der Sorte, die sehr laut nachhallen kann.
Die Möglichkeiten der Kommunikation in unserer Zeit scheinen zu explodieren. Dennoch ist es in unserer „Kommunikationsgesellschaft“ (ein Buzzword unserer Zeit) herausfordernder denn je, sich persönlich zu begegnen und ganz und gar unvermittelt, von Angesicht zu Angesicht und – lassen Sie mich das noch hinzufügen – auch mit einer gewissen Muße, sozusagen im Modus der Besinnung, miteinander zu reden. Ich möchte hier die These wagen, dass sich die Anzahl digitaler Kommunikationsangebote diametral zu der Anzahl persönlich geführter Gespräche entwickelt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass diese Kanäle nicht nur Kommunikation ermöglichen, sie bieten zugleich auch mehr oder weniger subtile Möglichkeiten dem, was sie zu ermöglichen vorgeben, geschickt auszuweichen, ja Kommunikation und Austausch regelrecht zu subvertieren.
Die oben thematisierte, scheinbar so absichtslose Nicht-Ansprechbarkeit oder Unerreichbarkeit verunmöglicht die Kontaktaufnahme und bahnt eine Normalität der Gleichgültigkeit. Sie bildet sich ab in ausbleibenden Antworten, in den zahlreichen, oftmals sehr subtilen Nuancen des Über-, Weg- und Nicht-Hörens. Der Mediendiskurs kennt dafür einen eigenen Begriff: Medien werden zu „involvement shields“, zu Schutzschilden vor unerwünschter Interaktion. So eingesetzt bedeuten sie dem anderen, dass sie ihm ostentativ nicht zur Verfügung stehen. Mit dem gleichzeitigen Rückzug analoger Kommunikation wandelt sich so eine vormalige Kultur der Begegnung in eine Kultur der „Vergegnung“, ein Phänomen, das mehr und mehr um sich zu greifen scheint.
Ist der digitale Mensch somit unberührbarer, gar ein gänzlich Unberührbarer geworden? Vielleicht. Zumindest unterstreicht es, dass der Mensch in seinem Handeln und Sein grundsätzlich unverfügbar ist. Und ganz ohne Zweifel ist es gut, dass Menschen sich entziehen und verweigern können. Ein Umgang, der im Digitalen um Einiges einfacher zu sein scheint, als im analogen Raum, jedoch für letzteren mehr und mehr wegweisend und prägend wird. Diese Unverfügbarkeit wahrzunehmen und anzuerkennen ist, so meine ich, trotz mancher Unbill und ganz besonders in Zeiten zunehmender Kontrolle und Fremdsteuerung, durchaus ein außerordentlich tröstlicher Gedanke. Einerseits.
Doch dies hat auch eine andere Seite. Denn andererseits wissen wir – jeder mag es schon erfahren haben – nicht nur das Sprechen, auch das Schweigen ist folgenreich. Beide Äußerungsformen erzeugen Wirklichkeiten, in denen wir anschließend weiterleben müssen. Mehr denn je braucht es Bewusstheit dafür, dass Kommunikation, auch die Nicht-Kommunikation, nicht folgenlos ist und die Kultur der Verständigung zwischen uns prägt. Das ist täglich erfahrbar, sowohl in unserem kleinen Mikrokosmos, aber auch im Miteinander des großen Weltenspiels. Ganz besonders sind es die globalen Entwicklungen dieser Zeit, die uns deutlicher denn je vor Augen führen, dass Gesprächsverweigerung und die Nicht-Ansprechbarkeit gerade auch im internationalen Kräftespiel tödliche Wirklichkeiten schaffen können, in denen Menschen um ihr Überleben ringen.
Wie können wir diese Gedanken nun in Hinblick auf die eingangs gestellte Frage zusammenführen? Unbestreitbar gibt es zahlreiche hilfreiche Weisen, Methoden, unterstützende Techniken, miteinander zu sprechen und einander zuzuhören. Der Vielfalt der Menschen und Kontexte der Verständigung werden wir jedoch mit reinen Kommunikationstechniken, d.h. mit einem mechanistischen und eindimensionalen Verständnis von Kommunikation nicht gerecht. So gilt es mit zu bedenken, dass wir mit jedem Gespräch, das wir führen, jemand anderen Zutritt zu unserem privaten Raum gewähren und im Gegenzug Zugang zu dem des anderen bekommen. Wenn wir außerdem gewahr werden, dass die Worte, die wir wählen, dass jeder Satz, den wir aussprechen (oder nicht aussprechen) eine ganz eigene Wirklichkeit schafft, die die gemeinsame Welt sowohl begrenzen, als auch weiten kann, dann verweist dies auf eine genuin ethische Dimension, die unserer Verständigung innewohnt. Dies bedeutet: Wir sind verantwortlich nicht nur für Tun, sondern auch für Unterlassen im Gebrauch unserer Worte, da beides weitreichende Folgen haben kann. Um einiges entscheidender und wichtiger als geschmiedete Wortschlüssel und wohlfeile Kommunikationstechniken scheint mir zu sein, den ethischen Imperativ, den uns die Verständigung aufgibt, wahrzunehmen und in unserem Sprachgebrauch stets mit zu bedenken.
Es ist, so meine ich, ebendieser Imperativ, den auch der Philosoph und Phänomenologe Bernhard Waldenfels thematisiert, wenn er formuliert: „Wer keine Fragen zuläßt und zu keiner Antwort bereit ist, führt kein Gespräch, nicht einmal mit sich selbst“.1 Mit diesen Worten spannt Waldenfels nun eine weitere, nicht weniger eindrückliche Perspektive zwischenmenschlicher Begegnung auf. Sein Fingerzeig kommt im Gewand einer leisen Mahnung daher: Wenn wir uns dem Anderen verweigern, mag nicht nur das Gespräch versiegen. Wir laufen auch Gefahr, dass die eigene innere Stimme gleich mit verstummt. Welch großer Verlust!
1 Waldenfels, B. (2007): Antwortregister. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Ulrike Meier, Nov. 2023
Der Text reagiert auf diesen Aufruf von Ulrike Meier und Kenneth Anders