REDEN 02_Das Ende als Anfang

Wir können nicht mehr miteinander sprechen.
Du meinst, ich habe mich verrannt.
Ich meine, Du bist nicht ehrlich.

Du berufst dich auf Zeitungen,
die ich nicht mehr lese.
Ich wage nicht,
mich auf Bücher zu berufen,
die du nicht lesen wirst.
Wir hören nicht mehr die gleichen Nachrichten,
wir sehen verschiedene Berichte
von der Welt.

Die Zahlen sind machtlos,
denn Zahlen schaffen keine Wahrheit.
In unseren Diensten
werden sie zu Instrumenten
des Rechtbehaltens,
sie türmen sich auf
zu trügerischen Modellen,
zu falschen Rechnungen,
niemand wird jemals dafür aufkommen.

Ich spüre:
Mein Schweigen verunsichert dich.
Du tappst im Dunkeln.
Denn ich bin auf der Hut
vor den Ungeheuerlichkeiten
aus deinem Mund,
die sich kleiden als Vernunft,
und doch nur Formeln sind,
entwickelt
in den alchemistischen Laboren der Macht,
um von dort
in Umlauf
gebracht zu werden.

Gehst auch du in Deckung vor mir?
Vor meinen Batterien an Argumenten und Vermutungen,
aufgetürmt in verdächtigen Kellern,
aufbewahrt für den rechten Augenblick,
um dann,
einmal hervorgebracht,
doch zu enttäuschen?

Manchmal sagst du Dinge,
über die ich noch wochenlang
in Zorn gerate.
Ich liege wach
und schmiede Antworten,
die ich nicht hatte,
im Moment der Begegnung.
Nutzlose Waffen!
Sie liegen auf dem Schrottplatz
nie geführter Gespräche.

So schleichen wir herum,
umeinander,
immer auf Abstand bedacht.

Soll man wirklich abschließen,
dicht machen,
eine Trennung vollziehen,
von der alle reden
als einer Spaltung?

Ich bin nicht einsam,
habe Familie,
Freunde und Gefährten,
und einige ferner,
die mich achten,
vielleicht gerade jetzt.

Aber wäre es nicht Berechnung,
nun zu sagen:
Ich brauche dich nicht mehr?
Sollte man nicht bleiben?
Im Gespräch,
als der ersten und letzten Form
der Verbindlichkeit,
der Bereitschaft,
Mensch zu sein?

Ja man sollte.

Also gut:
Lass uns Partner bleiben,
Gesprächspartner,
in aller Vorsicht und Rücksicht.
Begraben wir die Zahlen und Argumente,
verabschieden wir alle Autoritäten,
alle Instanzen und Beweise,
nichts davon führen wir ins Feld,
ja, wir schließen dieses Feld,
denn es ist zum Schlachtfeld geworden.

Wir treten zurück,
weit zurück!
Wir sprechen nicht über Viren,
nicht über Kriege
und nicht über das Klima.
Nicht über die Regierung
und nicht über die Gewaltenteilung.
Wir berufen uns
auf nichts
außer auf uns.
Auf die eigene Erfahrung,
die eigenen Zweifel,
Empfindungen und Fragen,
auf das, was ganz unmittelbar
und in diesem Moment
verfügbar ist,
unseren Sinnen,
unserem Leib.

Wir sehen in den Garten,
sprechen über die Tiere und Pflanzen,
über Luft und Wachheit,
über Müdigkeit und gute Arbeit.
Wir beschreiben.

Wir beginnen von vorn,
und so wächst
hoffentlich
eine neue Welt heran,
erst ganz klein,
aber dann gedeihend,
wie Vertrauen,
eine Welt,
nicht eingeteilt in meine und deine,
sondern geteilt
miteinander.

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.