Leaving Facebook

Nächste Woche lösche ich meinen Account

Es liegt gut zwei Jahre zurück, dass ich mir ein Profil bei Facebook eingerichtet habe. Das war also zu einer Zeit, als das Medium beinahe schon als tot galt. Meine großen Söhne nutzen es jedenfalls schon lange nicht mehr. Aber ich hatte berufliche Gründe, und dann wollte ich es auch wissen. Ich wollte sehen, wie es sich anfühlt, Teil dieser aufgeheizten Community zu sein, die, soviel hatte ich schon mitbekommen, eigentlich gar keine Community mehr sein will. Facebook ist eher ein Schauplatz, auf dem um Weltanschauungen und um Aufmerksamkeit gerungen wird.

Nun gebe ich schon wieder auf. Bevor ich abschalte, möchte ich kurz zusammenfassen, warum. Wie es sich angefühlt hat, was unerträglich und was vielleicht auch kostbar war.

Gefallen haben mir die Anregungen, die Hinweise auf Informationen und Medieninhalte an anderer Stelle. Ich habe wertvolle Webseiten entdeckt sowie interessante Autoren und Blogs. Das wird mir fehlen.

Gemocht habe ich auch (wenn sie denn aufkommen wollte) die Heiterkeit in vielen Posts. Es gibt echt gute Facebookfritzen, die einen wunderbaren Gag nach dem nächsten teilen – weiß der Himmel, woher sie das alles haben. Diese Albernheiten und Kuriositäten scheinen dem Medium Facebook am besten zu entsprechen. Ich habe mal irgendwo gelesen, Facebook war toll, solange sich junge Leute dort Katzenvideos gezeigt haben. Als die Erwachsenen dann anfingen, ihre politischen Kontroversen dort auszutragen, habe es seine Unschuld verloren. Da ist was dran.

Ich bin vor allem mit der Überlappung von privaten und öffentlichen Mitteilungen nicht klargekommen. Meine Frau ist nur mit Leuten bei Facebook befreundet, die sie auch kennt und mit denen sie persönliche Inhalte teilen will. Wir haben auch Freunde in den USA, die Facebook wirklich als Form eines erweiterten Freundeskreises nutzen, das gefällt mir. Es ist auch dort nicht immer einfach, wie man in der Trump-Zeit sehen konnte. Aber wichtiger als das Politische scheint da doch immer die Anteilnahme am täglichen Leben des anderen, das Erzählen, Berichten und Grüßen.

Bei mir hat das so nicht geklappt, obwohl natürlich auch echte Freunde unter meinen Facebook-Freunden sind. Vielleicht hätte ich da konsequenter sein können? Ich habe diese Trennung jedenfalls nicht durchgehalten. Es kommen Freundschaftsanfragen, man klickt sich durch die Posts und sagt: ok oder nicht ok. Es so locker zu handhaben, das war bei mir schon fast der Anfang vom Ende. Stand heute, da ich diese Kolumne schriebe, habe ich 428 „Freunde“, etwa die Hälfte kenne ich nicht persönlich. Das ist ja auch nicht gefordert, aber ich habe die verschiedenen Ebenen, die sich dadurch ergeben, nicht übereingekriegt.

Ob es geholfen hätte, da mehr aufzupassen? Da sind Zweifel angebracht. Auch gute Bekannte verhalten sich bei Facebook anders als in der Wirklichkeit. Es gibt einige, die einem Luft zum Atmen lassen, auch wenn sie politische Inhalte setzen, aber viele kommen gar nicht auf die Idee einer solchen Rücksicht. Sie sind ihrer Sache ganz sicher. Während sie einem im persönlichen Gespräch freundlich und respektvoll gegenübertreten, machen sie hier sich über Menschen im vermeintlich gegnerischen Lager lustig, diffamieren und geben die anderen der Lächerlichkeit preis. Sie posten Parolen und bekennen sich zu allem Möglichen. Mich verstört das, ich finde es unhöflich. Ich möchte jedem Menschen zubilligen, dass er seine eigene Sicht auf die Dinge entwickelt und ihn nicht agitieren. Und ich möchte auch selbst nicht agitiert werden. Ich empfinde das übrigens auch dann so, wenn ich den Inhalten oder Folgerungen der Agitation zustimme. Es ist mir unangenehm.

Ich frage mich dann, was passieren würde, würde ich in eben dieser Weise bei Facebook auftreten oder antworten. Es wäre unglaublich destruktiv, zumal ich sehe, dass ich nicht der Einzige bin, der in diesem Medium durchaus dünnhäutig ist. Durch die Kommentarfunktion stehen der Negativdynamik alle Schleusen offen; jeder, der etwas dazuschreibt, scheint es noch schlimmer zu machen. Gerate ich selbst in so ein Scharmützel, bin ich sehr aufgewühlt. Mit der Zeit habe ich deshalb eine zurückhaltende, eher beobachtende Haltung eingeübt, wie sie die meisten Leute bei Facebook pflegen: Kommuniziere vorsichtig, geh aus dem Weg, erkenne Minenfelder. Das ist die Überlebensregel auf dieser Plattform. So weit, so gut.

Aber spätestens seit der Coronazeit ist Facebook, ebenso wie die anderen großen Internetkonzerne, ein Organ der offiziellen nationalen und internationalen Informationspolitik geworden. Auf der einen Seite werden Beiträge und Accounts gelöscht, auf der anderen Seite werden offizielle Mitteilungen platziert. In zunehmendem Maße dient die Plattform nicht mehr der Kommunikation zwischen den Menschen, sondern der Herstellung eines Bildes von der Welt, wie wir sie sehen sollen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, das ist mir bewusst, sonst gäbe es ja nicht die oben beschriebenen Kontroversen zwischen meinen „Freunden“. Aber der Korridor wird nicht nur enger, er wird auch geneigt. Es geht in eine Richtung, die ich schwer beschreiben kann. Ein Amalgam aus Affirmation und Verachtung.

Um es knapp zu sagen: Ich erlebe Facebook als eine feindliche Umwelt. Eine Umwelt voller Freunde, aber die Luft ist vergiftet und die Worte sind es auch. Hut ab vor allen, die es schaffen, trotzdem Respekt, Liebe, Neugier und Witz in dieser Umwelt hochzuhalten!

Dass die großen Internetkonzerne zu mächtig geworden sind, das haben schon viele festgestellt. Sie werden der Verantwortung, die ihnen aufgrund ihrer enormen Reichweite zukommt, nicht gerecht. Ich sehe wohl, dass sehr viele Menschen dieses Facebook nicht mögen, und dennoch dabeibleiben, weil es keine gute Alternative zu geben scheint. Kommunikationsnetzwerke, die sich vergrößern können, durchlässig und entwicklungsfähig sind, die muss man erst mal schaffen. Das ist nicht einfach und es kostet unwahrscheinlich viel Geld.

Über die Art, wie so eine Plattform aufgebaut sein müsste, bin ich mir zudem gar nicht sicher. Wie stellt man sich eine freie Kommunikationsstruktur vor, die dennoch Regeln anerkennt? Wie sollen sich Netzwerke qualifizieren, die keine Umwelt haben, also umgekehrt auch keine Binnenstruktur? Kann bei einer solchen Anlage der Verzicht auf redaktionelle Pflege aufgehen? Wie kann man Vereinbarungen des menschlichen Umgangs miteinander treffen und durchsetzen? Wie verhindert man Missbrauch und Propaganda, ohne eine Zensurindustrie ins Werk zu setzen, mit tausenden von Löschsoldaten, die in den Philippinen oder sonstwo in Sekundenbruchteilen mit persönlichen Entscheidungen in die Mitteilungen anderer Menschen eingreifen. Was an so einer Plattform ist überhaupt öffentlich und muss deshalb den Standards öffentlicher Kommunikation entsprechen? Was ist Privatheit in so einem Medium? Das ist alles so schwer zu beantworten, und es ist doch für unser Leben sehr wichtig.

Facebook ist nur ein Fall von inzwischen sehr vielen Kommunikationsplattformen, die alle auf ihre Weise ambivalent sind. Manchmal kommen sie mir vor wie irrsinnige Eingriffe in Systeme, deren Folgen niemand überblickt. Als stelle man ein Bordell auf einen Spielplatz. Als installiere man eine 10.000-Watt-Beschallung in einem Dorffest. Als werfe man tagelang den Müll aus der Tonne in ein Bürofenster, das nicht geschlossen werden kann. Es wirkt am Anfang absurd und harmlos, aber am Ende ist es tödlich.

Ich schau mal, wie die Alternativen so funktionieren. Ihr findet mich, wenn ihr mich kontaktieren wollt. Gern in echter Freundschaft oder wenigstens in freundschaftlichem Umgang.

24. 09. 2021

Kenneth Anders
k.anders@oderbruchpavillon.de

studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie in Leipzig und Berlin und fand den Einstieg in die Landschaftsthematik durch die Gestaltung einer Ausstellung über die Entstehung der Naturschutzeule in Bad Freienwalde am Haus der Naturpflege. 2004 gründete er mit Lars Fischer das Büro für Landschaftskommunikation. Kenneth Anders ist außerdem als Autor und Sprecher tätig.