Holz heizen

Zu den erstaunlichen Volten, die unsere Wertvorstellungen gegenwärtig durchmachen, sagte er, gehört das Heizen mit Holz.
Zu Beginn ihrer Wohnkarriere auf dem Land, erzählte er, waren sie für die Mühe, die sie sich mit dem Heizholz machten, belächelt worden. Sie waren nahezu die Einzigen im Dorf, die Holzscheite stapelten. Das galt als gestrig. Fortschritt verkörperten die jüngst neu eingebauten Zentralheizungen, die mit Gas oder Öl liefen. Sie ließen die stolzen Besitzer wohlig zurücklehnen: Was hatte man sich doch über all die Jahre für eine Arbeit gemacht! Holz machen oder Briketts reinschaufeln, Öfen anheizen und Asche raustragen, das schien jetzt ein für allemal vorbei zu sein. Man machte es sich gemütlich vor dem Fernseher, hatte im Sommer keine beschwerliche Arbeit mehr, und empfand dies als großen Gewinn.
So waren sie aus der Zeit der Neunziger herausgefallen mit ihrem Anspruch, selbst gesägtes und gehacktes Holz zu verbrennen. Sie galten als „Ökos“, und tatsächlich empfanden sie es im besten ökologischen Sinne als gesunden Kreislauf, nachwachsende Energie aus der Nähe zu verwenden. Sie führten Verhandlungen mit dem Förster, bei denen es weniger um Geld ging als darum, welchem Schlag sie Holz entnehmen könnten. Lag er günstig oder schwer zugänglich? Gab es Hart- oder eher Weichholz, was die gleiche Arbeit erforderte, aber weniger Wärme ergab? Der Förster belehrte sie, dass sie als „Selbstwerber“ nicht allein und nicht am Sonntag sägen durften. Einmal überführte er sie, sie hatten sonntags gesägt, die Motorsäge hatte sie verraten. Für einen Moment wurde offenbar, dass Förster einmal Autoritäten waren.
Nach einem „Kettensägenführerschein“ fragte seinerzeit noch keiner. Manchmal mussten sie die Bäume selber fällen, was ein unglaubliches Risiko war. Einmal klemmte die Säge fest und musste mit Keilen freigelegt werden. Wie oft sägten sie in den Boden, um sich dann mit stumpfer Säge abzuquälen.
Der Lohn waren handliche Stücke, die der Länge nach bereits in den Ofen passten, aber noch gehackt werden mussten. Das machten sie zuhause, nachdem das Holz mit kleinem Hänger transportiert worden war. Wenn Besuch aus der Stadt kam, konnten sie einen Teil der Arbeit abgeben. Holzhacken, das machten Städter immer gern, das war eine archaische Arbeit, die einen Nerv traf, und man muss nicht viel erklären.
Nach dem Hacken wurde das Holz aufgestapelt und musste zwei Sommer lang trocknen. Ideal war ein luftiger und trockener Standort, etwa unter einem Vordach. Wie oft waren sie bei der Lagerung baden gegangen! Die billigen Abdeckplanen aus dem Baumarkt wurden im Sonnenlicht porös und ließen Wasser durch, das wertvolle Holz wurde nass und faulig. Es brannte nicht. Also stapelten sie es neu und konnten es erst im nächsten Winter verwenden. Ein Klassiker war auch das Zusammenbrechen mustergültiger Stapel. Die meist zu hoch gebauten Wände fielen beim Trocknen krachend nach vorne um.
Doch sie ließen nicht locker und hielten am Holzheizen fest, wider alle rationale Vernunft, über viele Jahre. Belohnt wurden sie mit dem guten Gefühl, die Wärme des Winters selbst erarbeitet zu haben. Sie hatten die Energie direkt der Natur entnommen, nicht einem dubiosen Gas- oder Ölmarkt, und sie würde, wenngleich langsam, immer wieder nachwachsen. Sie verwendeten ja stets Abfallholz, das der Förster angezeichnet hatte, weil es in der eng gepflanzten Aufforstung heraus musste, um den „Bäumen mit Zukunft“ Platz zu geben. Manchmal waren es nur die Äste großer Bäume, deren Stämme bereits verkauft worden waren. Oder es war Windbruch, niedergefegt vom Sturm oder der Schneelast des Winters. Über Kohlendioxid, beim Wachstum gebunden und bei der Verbrennung wieder frei gesetzt, sprach seinerzeit noch niemand.
Wichtiger war: Hier konnte man Geld sparen. Das Holzheizbudget war gering, gemessen an den Ausgaben für Fossiles, und wenn man die immense Arbeit nicht rechnete. Aber die Arbeit haben sie nie berechnet, auch nicht im Garten oder beim Bauen. Hätten sie damit angefangen, wäre die Rechnung nie aufgegangen. Das gute Gefühl und die Freude am Entstehensehen, der Spaß am Arbeiten, der Ausgleich zum Sitzen im Büro, all das konnte man doch nicht berechnen und die Stoppuhr laufen lassen.
Am meisten liebte er den alten Badeofen. Er war ihm ein Inbegriff von Effizienz und auch von formaler Reduktion geworden. Die Form der emaillierten Patrone folgte allein der Funktion, heißes Wasser zu erzeugen. Mit wenigen Scheiten Holz war ein Vollbad heiß, und außerdem das Badezimmer in wohlige Wärme gehüllt. Es musste nicht gelüftet werden, denn der Ofen sog den Wasserdampf mit nach draußen. Während er in der heißen Badewanne lag, hörte er das Holzfeuer knistern.
Das ging viele Jahre so, doch mittlerweile waren sie längst nicht mehr die Einzigen. Auch in den Nachbargrundstücken heulten inzwischen Motorsägen auf, elektrische Holzspalter jammerten und exakte Stapel wuchsen in den Himmel. Jeder hatte nun mindestens einen Kaminofen mit Scheibe in der Stube, dessen gelbes Flammenlicht zum blauen Schimmer des Fernsehers kontrastierte. Das Heizen mit Holz war Mode geworden. Es ging um Behaglichkeit und auch ums Sparen, denn die Öl- und Gaspreise waren allmählich gestiegen. Um das gute Gewissen ging es auch, denn Worte wie Nachhaltigkeit und Ökologie waren plötzlich in aller Munde. Es gab Lifestyle-Magazine mit Bilderserien, die Flammen hinter Ofenfenstern und weichgezeichnete, muskulöse Holzhacker in passender Kleidung zeigten. Es gab Produktserien für Ofenbesteck und Anzünder, Tragekörbe und allerlei Accessoires, die man auf den Ofen stellen konnte. Es gab Kurse, in denen man das Heizen lernte, was durchaus sinnvoll war, wie ihnen ihr leidgeprüfter Schornsteinfeger erzählte. Es war nicht allen geläufig, dass es neben den Scheiten auch kleine Spänchen zum Anzünden brauchte, oder dass ein Feuer Luftzufuhr benötigte: Kenntnisse, ohne die das Heizerlebnis in blauem Qualm und weit geöffneten Fenstern endete.
Eines Tages war ihre Holzheizung hinüber und es stand die Frage, wie es weiter gehen sollte. Sie führten ein Beratungsgespräch mit einem erfahrenen Heizungsmonteur, der kurz vor der Rente stand. Er hatte, wie die meisten Handwerker, zu viel zu tun und wirkte müde. Er musterte sie kurz und verstand die Beweggründe, sah aber auch ihr Kraftpotenzial und meinte: „Das macht ihr vielleicht noch fünf, vielleicht auch zehn Jahre, aber länger macht ihr das nicht. Baut eine Pelletheizung ein. Dann heizt ihr auch mit Holz, habt weiterhin ein gutes Gefühl, aber nicht mehr diese immense Arbeit. Ein paar Scheite Holz könnt ihr dennoch in den Ofen in der Küche werfen und Euch an den Flammen freuen.“
Genau so machten sie das, und wieder waren sie so etwas wie Avantgarde im Dorf. Sie bauten ein hölzernes Silo, in das die kleinen Dinger eingeblasen wurden, und freuten sich an der großen Effizienz des Brenners ebenso wie an dem neuen Luxus, nurmehr Überwacher einer automatischen Heizung zu sein. Bei jeder Messung bescheinigte ihnen der Schornsteinfeger außerordentliche Abgaswerte, die, wie er wiederkehrend sagte, einer Verrottung des Holzes gleichkämen, würde man es im Wald einfach liegen lassen. Wieder hatten sie das schöne Gefühl im Rücken, recht behalten zu haben mit ihrer Entscheidung. Zudem hatte der Staat seit Jahren die Heizungsart gefördert, was sie wegen des bürokratischen Aufwandes nicht in Anspruch nahmen. Als eine Wertschätzung interpretierten sie es aber doch. Das zu den kleinen, stark nach Harz duftenden Röllchen gepresste Holz war wiederum Abfall, das man nicht anders verwerten konnte, minderwertiges Stangenholz und Verschnitt, das sie sich aus dem nahen Mittelgebirge kommen ließen.
Während der Coronajahre hatte dann das „Holzmachen“ im Dorf noch einmal enorm zugenommen. Was sollte man machen? Also machte man Holz. Es wurden Motorsägen und Spaltäxte gekauft, Arbeitshosen mit schützendem Stoff und Helme. An Samstagen zogen ganze Familien und Freundeskreise in den Wald, es wurde gesägt und gehackt und aufgeladen, was die Achse hielt.
Als wenig später die Energiepreise durch die Decke gingen, weil man dem einstigen Hauptlieferanten von Gas und Öl den Hahn abdrehte und dafür überteuert auf dem Weltmarkt kaufte, nahm der Griff zum Holz noch einmal zu. Nun war es noch mehr eine ökonomische Frage geworden, in vielen Fällen sogar der Not. Es gab Wartezeiten für Öfen. Sägewerke verkauften Verschnitt, den die Leute ihnen unter den Händen wegrissen. Zeitungen berichteten von Holzdiebstahl. Er fühlte sich an Schilderungen seiner Eltern aus der Nachkriegszeit erinnert, als der Wald leergefegt gewesen war; alles Unterholz beräumt. Brennstoffhändler hatten goldene Zeiten. Gelegentlich sah man auch wieder Lastwagen mit Braunkohlenbriketts im Dorf, mit einem Zwischenbrett auf der Ladefläche, um die Ladung geteilt abkippen zu können: Anblicke wie aus einem Geschichtsfilm.
Sie wähnten sich, meinte er, mit ihren Pellets auf der sicheren Seite, wurden aber schnell eines Besseren belehrt. Sie mussten einsehen: Der Energiepreis maß sich immer an dem, der am teuersten verkaufte. Was für eine geniale Idee der Erzeuger! Die Holzröllchen waren über Nacht doppelt so teuer geworden.
In diesem Moment seiner Erzählung hielt er inne und bemerkte, dass er all das bereits aus einer historischen Perspektive erzählte.
Denn plötzlich, von einem Tag auf den anderen, waren ihre Heizmethoden auch moralisch in Verruf geraten. Er erinnerte sich noch gut an den Moment der Erkenntnis, es war ein Gespräch mit einem Bekannten aus der Stadt, als er vom Prinzip des Badeofens schwärmte und ihm ein entrüstetes „Aber das geht doch gar nicht!“ entgegenschlug. Er hatte etwas verpasst. Was hatte den Umschwung hervorgerufen? Er hatte keine Ahnung. Es wurde sogar gemunkelt, dass das Heizen mit Holz verboten oder mindestens erschwert werden sollte. Aber warum? Was konnte man gerade jetzt dagegen haben?
Er fragte beim Schornsteinfeger nach. Dieser referierte über neue Bestimmungen. Der Staat traute seinen Bürgern nicht mehr zu, richtig zu heizen. Nun, damit hatte auch der Schornsteinfeger seine Erfahrungen gemacht. Es sollte deshalb in Zukunft nur noch Öfen geben, welche die Luftzufuhr automatisch regelten. Entscheidend aber, meinte er, würde der Emmissionsschutz sein. Dem Qualm war der Kampf angesagt worden.
Sie recherchierten. Das Umweltbundesamt verlautbarte, dass das Heizen mit Holz ungemein viel Feinstaub produziere. Schnell war man mit Vergleichen zum Auto bei der Hand. Unisono hieß es in mehreren Zeitungen, dass ein Ofen gewissermaßen gefährlicher als ein Pkw sei. Das zog. Die Argumentationslinien liefen wieder einmal zusammen bei der WHO. Die Weltgesundheitshüter hatten Grenzwerte für die Feinstaubbelastung festgelegt. Man vermutete, hieß es dort, dass Feinstaub krebserregend sei. Wenigstens, murmelte er, war man noch so ehrlich, nicht von einer Gewissheit zu sprechen. Das anfallende Restholz, so war beim Umweltbundesamt zu lesen, solle besser im Wald verrotten als in unseren Öfen verbrannt zu werden.
Er spräche, sagte er, das Thema im Gespräch mit den Leuten mittlerweile gerne an, weil er bemerke, dass hier starke Emotionen herrschten, und eine gewisse Trotzigkeit, die ihm gefalle. Die Leute hätten das Heizen wieder zu schätzen gelernt; es versprach etwas Autarkie und Einsparung. Man geht in den Wald und sammelt Holz, um die Bude warm zu kriegen, und ist dabei nur auf seine Arbeitskraft angewiesen, nicht auf Lieferanten und deren willkürliche Preise. Sich in der Ernährung selbst zu versorgen, konnte fast nicht mehr gelingen; in der Wärmeversorgung aber schon.
Entsprechend wollte sich niemand das Heizen mit Holz wieder nehmen lassen. Und in der Regel wurde dann hinzugefügt: Natürlich heize ich im Zweifelsfall einfach weiter.

Peter Fibich
kontakt@freiraumkonzepte.com