Die Reglementierung des Zugangs

In den achtziger Jahren habe ich mit Freunden das mehrtägige Ruhlsdorfer Fest organisiert, eine Mischung aus Konzerten, Gesprächskreisen, Handwerkskursen, Spielen und Baumpflanzaktionen. Von 1983 bis 1986, 1987 schließlich verboten. 200 Leute aus der ganzen Republik, der DDR, waren dabei, alle persönlich eingeladen.

Zu einer der Ausgaben haben wir mit der Gestaltung des Zugangs zur Veranstaltung die Freunde provoziert. Der erste Abend war immer der Party vorbehalten. Im Land waren die langen Schlangen vor den Jugendklubs und Konzertstätten allgegenwärtig, ob man hineingelassen wurde, war häufig glücklichen Umständen oder einfach dem Zufall überlassen, in aller Regel waren Bedingungen zu erfüllen. An der Tür des Tanzsaals hieß es „Ohne Kirsche kommt ihr hier nicht rein“, für den Studentenclub brauchtest Du immer einen Ausweis oder eine Studentin, mal hattest Du die falschen Hosen an, mal zu lange Haare. Und dazu gab es das vom Einlaßpersonal ausgeübte Ritual des Wartenlassens, reine Willkür.

Mit all dem konnte man beim familiären und hippiesken Ruhlsdorfer Fest natürlich nicht rechnen und dennoch stand die größer und größer werdende Menge der frisch angereisten Gäste nun vor verschlossener Partytür. Wurde von uns vertröstet und noch einmal vertröstet. Wie weit konnten wir den Geduldsfaden spannen? Ein gefährliches Spiel, die Besucher unmittelbar nach ihrer Ankunft mit der gerade entronnenen Alltagsrealität zu konfrontieren.

Schließlich öffnete sich die Tür, aber nur einen Spalt. Die Gäste mußten einzeln durch einen Gang aus Polsterkissen kriechen, im Foyer angelangt stand eine Art Leibesvisite an, sonnenbebrillt wurde sich nach dem werten Befinden erkundigt. Nach dieser Tortur jedoch, wurde ein Jeder herzlich umarmt und persönlich unter Liebkosungen in den mit Teppichen ausgelegten Saal geleitet. Gedimmtes Licht, sphärische Musik, freie ebenerdige Platzwahl und dann endlich: genußvolles Warten. Die Prozedur dauerte insgesamt bestimmt eine Stunde. Im Anschluß legte die Band los und das Fest sah lange kein Ende.

Warum erzähle ich das jetzt, bald vierzig Jahre später? Damals wollten wir den Gästen mit der Aktion, die nicht alle verstanden und somit auch nicht alle guthießen, wohl vermitteln: Hej, ihr seid hier nicht im Ferienlager. Wir feiern, na klar, aber wir diskutieren hier auch über das, was sich im Land ändern muß. Abtauchen schon, aber wach bleiben.  

Seit nun fast zwei Jahren ist der Zugang zu Veranstaltungen reglementiert, wiederum ist er an Bedingungen geknüpft. Diesmal mußt Du immer frisch behandelt sein oder aber einen Gesundheitsnachweis erbringen, diesmal hilft Dir keine Kirsche, keine Studentin und auch nicht der richtige Haarschnitt. Du mußt leider draußen bleiben, die (zugegeben langweilige) Party läuft ohne Dich. Keine Nische. Totalitär.

Das randständige Ruhlsdorfer Fest der achtziger Jahre würde man aus heutiger Sicht sicher der Subkultur zuordnen. Heute jedoch bedeutet Subkultur: Wir stellen uns mitten auf den Platz und sind von allen zu sehen. Jeder kann herantreten und dabei sein.

9. Januar 2022

Udo Muszynski
Udo.Muszynski@t-online.de